Zeit zu handeln


Übersicht Beiträge und Veröffentlichungen

Ausgewählte Arbeitsmarktdaten, Herausforderungen und Beschäftigungsstrategien

smallImage

 vergrößern

 

Kurzer Überblick über ausgewählte Arbeitsmarktdaten, künftige Herausforderungen für den Arbeits-         markt sowie diskutierte Beschäftigungsstrategien in der Postwachstumsgesellschaft 

1. Allgemeine Arbeitsmarktdaten für Deutschland

Noch nie waren in Deutschland so viele Menschen erwerbstätig wie heute. 

Von den reichlich 82 Millionen Einwohnern waren 2014 ca. 53,3 Millionen  bzw. 65 Prozent Erwerbsfähige, d. h. zwischen 15 und 65 Jahre alt. Wird die Altersgrenze der Erwerbsfähigkeit erst bei 20 Jahren angesetzt, waren 2014 49,5 Millionen, d.h. 60 Prozent der Bevölkerung erwerbsfähig.

Von den Erwerbsfähigen wiederum waren 45 Millionen bzw. 84 Prozent (90 Prozent der 20- bis 65jährigen) Erwerbspersonen, boten also ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt an.

Von den Erwerbspersonen waren 2014 42,6 Millionen bzw. 95 Prozent erwerbstätig und knapp 5 Prozent erwerbslos. Die Quote der bei der Bundesagentur für Arbeit registrierten Arbeitslosen betrug 2014 6,7 Prozent, 5,9 Prozent in Westdeutschland und 9,8 Prozent in Ostdeutschland.

Von den 42,6 Millionen Erwerbstätigen waren neun Zehntel abhängig beschäftigt und ein Zehntel (4,4 Millionen) selbständig.

Die 42,6 Millionen Erwerbstätigen arbeiteten 2014 insgesamt 58,5 Milliarden Stunden. 

Die wöchentliche individuelle Arbeitszeit pro Erwerbstätigem lag bei 1371 Stunden und pro abhängig Beschäftigtem bei 1300 Stunden. Der rückläufige Trend der individuellen Arbeitszeit setzte sich damit fort. Bei dem gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumen war der Tiefpunkt 2005 mit 57,5 Milliarden Stunden erreicht. Seitdem steigt das Arbeitsvolumen wieder an. Dies gilt auch, wenn das Arbeitsvolumen auf die Wohnbevölkerung bezogen wird. Das heißt: Die Produktion ist in den zurückliegenden Jahren wieder arbeitsintensiver geworden. 

Trotzdem nahm die Arbeitsproduktivität, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigem, weiter zu. Allerdings hat sich der Anstieg in den letzten Jahren und Jahrzehnten verlangsamt. Dies gilt sowohl pro Erwerbstätigem als auch pro Erwerbstätigen-Stunde. (Der Anstieg der Arbeitsproduktivität pro Stunde ist allerdings immer noch doppelt so hoch wie der pro Erwerbstätigem).

Wie haben sich Gehälter, Lohnquoten und verfügbare Einkommen entwickelt?

Die durchschnittlichen Bruttolöhne je Arbeitnehmer lagen 2014 mit knapp 32.000 Euro real betrachtet auf dem Niveau von 1996 bzw. 1992. Allerdings hatten die Bruttolöhne in den Jahren 2005 bis 2013 nicht einmal dieses Niveau erreicht. Die durchschnittlichen Nettolöhne je Arbeitnehmer betrugen 2014 rund 21.000 Euro. Dies war so viel wie 2004, 1994 oder 1991. Von 2005 bis 2013 blieben die Nettolöhne deutlich unter diesem Niveau. Die stagnierenden Nettolöhne sind vor allem auf die sinkende Arbeitszeit zurückzuführen. Denn pro Stunde war der reale Nettolohn mit durchschnittlich 15,13 Euro 2015 so hoch wie nie zuvor. Allerdings stieg der Stundenlohn mit Ausnahme der zurückliegenden vier Jahre deutlich langsamer als die Stundenproduktivität.

Mit 67,9 Prozent lag die Lohnquote auf einem historisch sehr niedrigen Niveau. 2000 hatte sie noch 72,1 Prozent betragen. Der bisherige Tiefpunkt lag bei 66,7 Prozent im Jahr 2005.

Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte insgesamt entwickelten sich deutlich besser als die Nettolöhne pro Arbeitnehmer. Das gilt insbesondere seit Beginn dieses Jahrzehnts. Allerdings haben sich die Einkommenssteigerungen Untersuchungen des DIW/SOEP zufolge sehr ungleich auf die einzelnen Einkommensgruppen verteilt. Vom Einkommenszuwachs profitiert haben im wesentlichen nur die oberen Einkommensgruppen insbesondere das wirtschaftlich stärkste Zehntel, während die Einkommen der wirtschaftlich schwächeren Hälfte stagnierten bzw. real sanken.

 

2. Demographischer Wandel

Zu den demographischen Herausforderungen für den Arbeitsmarkt gehören vor allem

- Abnahme der Zahl Erwerbsfähiger

- Alterung der Erwerbsbevölkerung sowie die

- Zuwanderung von Menschen ohne bzw. mit geringen oder anpassungsbedürftigen  Qualifikationen.

Nach der 13. Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes wird die Zahl der 20 bis 64Jährigen von heute 49,2 Millionen  je nach Wanderungssaldo bis 2030 um 4 bis 5 Millionen und bis 2060 um 11 bis 15 Millionen zurückgehen. Zugleich wird die Erwerbsbevölkerung stark altern. Zwischen 2017 und 2024 werden die Erwerbsfähigen zu jeweils 40 Prozent aus 30- bis unter 50Jährigen und 50- bis unter 65Jährigen bestehen. Danach werden die Disproportionen zwischen jüngeren und älteren Erwerbsfähigen geringer werden.

Wieviele der Erwerbsfähigen dann künftig ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt anbieten werden und wie produktiv sie sein werden, ist offen. Dies hängt auch davon ab, wieviele Arbeitskräfte mit welchem Bildungshintergrund nach Europa und insbesondere Deutschland zuwandern und wie schnell sie zusammen mit den Altzuwanderern in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Hier spielen auch Faktoren wie der Klimawandel (Stichwort: Klimaflüchtlinge), die Globalisierung und die Migrations- und Integrationspolitiken anderer Industrie- und Schwellenländer (Stichwort: Konkurrenz um kluge Köpfe) eine Rolle.

Was die künftige Entwicklung der Erwerbszahlen angeht, sind die Aussagen widersprüchlich. Jüngsten Untersuchungen der Boston Consulting Group zufolge fehlen bis 2030 in Deutschland 6,1 Millionen Arbeitskräfte. Dies würde sich - so die BCG - in vielen Regionen Deutschlands negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Der Bundesregierung zufolge wird der zahlenmäßige Rückgang der Erwerbstätige dagegen nur 1,4 Millionen betragen, da mehr ältere und weibliche Erwerbstätige für den Arbeitsmarkt gewonnen werden, die Teilzeitbeschäftigung ausgeweitet wird sowie mehr Menschen zuwandern. 

Die großen Engpässe bestehen bei Erziehungs- und Sozialberufen, Gesundheitsberufen, Managern und leitenden Angestellten sowie technischen Berufen.

Klärungsbedürftig ist hier vor allem, wie sich der demographische Wandel im Einzelnen auf die im Folgenden vorgestellten Beschäftigungsstrategien auswirken wird.

 

3. Digitalisierung

Die Digitalisierung könnte die Bewältigung des demographischen Wandels und den zu erwartenden Fachkräftemangel erleichtern, da sie Arbeitskräfte vielerorts überflüssig macht. Allerdings sind Aussagen hierzu mit großen Unsicherheiten behaftet. Die viel zitierte Studie der Ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael Osborne der Oxford University, nach der vor allem durch die Automatisierung in den nächsten 20 Jahren die Hälfte aller Arbeitsplätze ersetzt wird, ist zumindest diskussionswürdig.

Sicher ist, dass die Digitalisierung viele Tätigkeiten verändert, bzw. überflüssig machen wird und dass anders als früher hiervon auch hoch und höher qualifizierte Tätigkeiten erfasst werden: Fahrer, weil PKWs und LKWs künftig automatisch gesteuert werden, Kassierer, weil künftig via Touchscreen bestellt und via Smartphone bezahlt werden wird, aber auch Juristen, weil juristische Texte durch bestimmte Software viel schneller analysiert werden können als durch sie, Journalisten, weil Computer künftig ihre Texte schreiben, Steuerbeamte, Banker etc.

Wie schnell sich dieser Prozess vollziehen wird, ist jedoch offen. In der Vergangenheit wurden die Zeiträume häufig unterschätzt - zumal enorme finanzielle Mittel bereitgestellt werden müssen, um die Digitalisierung und Automatisierung voranzutreiben. Und schließlich müssen erhebliche gesellschaftliche Widerstände überwunden werden, um Roboter beispielsweise in der Pflege zum Einsatz bringen zu können. Vermutlich werden in diesen Bereichen viele physische Arbeitskräfte nachgefragt werden. Folgt man der Analyse der ILO, dann könnte sich in den früh industrialisierten Ländern der Trend der vergangenen Jahre (2000 bis 2013) fortsetzen:

- Weitere Abnahme standardisierter Tätigkeiten und Routinejobs auch mit höheren       Qualifikationen

- Zunahme nicht standardisierter wissensbasierter Tätigkeiten sowie

- Zunahme nicht standardisierter handwerklicher Tätigkeiten und personenbezogener     Dienstleistungen.

 

4. Globalisierung

Die Globalisierung ist vielschichtig. Hier interessiert besonders die Globalisierung der Arbeitsmärkte. Künftig konkurrieren Arbeitskräfte der früh industrialisierten Länder mit denen der spät industrialisierten Länder.

Die Bildungsvorsprünge der Arbeitskräfte in den früh industrialisierten Ländern sind geschwunden. Hinzu kommt, dass diese Arbeitskräfte älter und saturierter geworden sind, während  viele Arbeitskräfte in den spätindustrialisierten Ländern jung, gut ausgebildet und hoch motiviert sind.

 

5. Geringes Wirtschaftswachstum 

Hier wird auf die Analysen des Denkwerks Zukunft zu diesem Thema verwiesen.

 

6. Mögliche Strategien

Welche Strategien sind bisher in der Diskussion?

 

6.1. Alte Glaubenssätze im Zusammenhang mit Beschäftigung  infrage stellen, wie

- "Sozial ist, was Beschäftigung schafft"

- Was ist sozial an Arbeitsplätzen, die Menschen überfordern (Stress!) oder die Umwelt zerstören?

- "Wir brauchen Wachstum, um Arbeitsplätze zu schaffen" selbst wenn dadurch die ökologische    oder finanzielle Tragfähigkeit überschritten wird. Der Zusammenhang zwischen Wachstum und  Beschäftigung ist sehr komplex. In der jüngeren Vergangenheit gibt es sowohl Beispiele für  Wirtschaftswachstum mit und ohne Beschäftigungszuwachs sowie für Beschäftigungszuwachs und  Rückgang der Arbeitslosigkeit bei relativ niedrigem Wirtschaftswachstum. Entscheidend ist, wie  sich Produktivität und Elastizität der Arbeitskräftenachfrage entwickeln.

 

6.2. Beschäftigung in Bereichen mit geringer Produktivität fördern

Tim Jackson plädiert z.B. explizit dafür, weniger produktiv zu sein und eine Wirtschaft von "care, craft and culture" zu etablieren.

Seine Begründung: Bei voraussichtlich geringerem Wirtschaftswachstum führt steigende Produktivität zu höherer Arbeitslosigkeit - es sei denn, die Arbeitszeit wird generell für alle entsprechend verkürzt (vgl. Ziffer 6.4.)

Alternativ dazu schlägt Tim Jackson vor, mehr Arbeitsplätze in niedrig produktiven Bereichen zu schaffen, z.B. im Bereich der Gesundheit/Pflege, Sozialarbeit, Erziehung, Handwerk sowie dem Kultursektor.

Eine Ausweitung dieser Tätigkeiten werde vielfach die Lebensqualität der Menschen verbessern, zum Gemeinwohl beitragen, weniger Ressourcen benötigen und dadurch die Umwelt weniger schädigen als hochproduktive Tätigkeiten. Trotzdem wird geringe Produktivität als Makel betrachtet.

Um zu einer Wirtschaft mit geringerer Produktivität zu kommen, schlägt Jackson u.a. vor, 

den Faktor Arbeit weniger zu besteuern und stattdessen höhere    Steuern auf natürliche    Ressourcen, vor allem auf Energie und Umweltverschmutzung zu erheben (vgl. Ziffer 6.3.)

sich von "perversen Produktivitätszielen" zu verabschieden

in Qualifikationen und Fähigkeiten zu investieren, um eine Wirtschaft von care, craft and    culture  zu stärken.

 

6.3. Steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit 

Dieser Vorschlag ist in vielen Ausarbeitungen zu diesem Thema enthalten.

 

6.4. Andere Verteilung von Arbeit

Auch dieser Vorschlag findet sich in vielen Ausarbeitungen. Im Zentrum steht die Verkürzung der Wochen- und Jahresarbeitszeit für alle (Fritz Hinterberger/SERI nennt dies Arbeits-fair-Teilung). Wird die Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich vollzogen, nimmt zwar die Beschäftigung erheblich zu, aber auch die Einkommensprobleme.

Könnte und sollte der Lohnausgleich gesplittet werden, d.h. sollten nur die unteren Einkommensbezieher einen Lohnausgleich erhalten? Oder ist die Einführung einer Grundsicherung die Lösung? Wenn ja, soll dies ein bedingungsloses oder ein an Bedingungen geknüpftes Grundeinkommen (wie unbezahlte Sozialarbeit oder Umweltarbeit) sein?

Fest steht: Die Beantwortung der Frage nach Einkommenssicherheit und Einkommensverteilung ist entscheidend für die Akzeptanz der verschiedenen Beschäftigungsstrategien.

 

6.5. Erweiterung des Arbeitsbegriffs und Aufwertung unbezahlter Tätigkeiten

Viele unbezahlte Tätigkeiten sind nicht nur befriedigend und sinnvoll, sondern tragen auch zum Gemeinwohl bei. 

Wie könnten sie aufgewertet werden?

Sollte dieser Sektor ausgeweitet werden, z.B. durch ein Grundeinkommen, das daran geknüpft wird, solche unbezahlten Tätigkeiten auszuführen?